Kein Nikola Jokic, kein Vasilije Micic, kein Nikola Kalinic, kein Vladimir Lucic, kein Aleksej Pokusevski, Milos Teodosic, Nemanja Nedovic oder Bobi Marjanovic – den Serben fehlt tendenziell ein gesamtes Team aus europäischen Spitzenspielern und dennoch sind sie am Ende eines langen Turniers völlig zu Recht im Finale um den Titel.
„Ich mag es nicht zwei Mal am Tag zu trainieren. Meine Mannschaft trainiert einmal am Tag. Dafür den ganzen Tag.“ – Svetislav Pesic
Eigentlich muss man Svetislav „Sveti“ Pesic mögen. Die in Novi Sad geborene, jedoch in Deutschland lebende Trainerlegende ist mittlerweile seit 41 Jahren an der Seitenlinie aktiv und nicht nur für sein Heimatland eine ganz zentrale Figur in der Geschichte des Sports. Pesic trainierte in den letzten Jahrzehnten unter anderem erfolgreich die Mannschaften von Alba Berlin, RheinEnergie Köln und Bayern München – sein prägnantester Erfolg kam jedoch vor ziemlich genau 30 Jahren: mit Pesic als Trainer gewann die Deutsche Nationalmannschaft als „kleine Sensation“ die Europameisterschaft im eigenen Land in einem „Thrillerfinale“ mit 71:70 gegen Russland. Pesic selbst sah den Titelgewinn keinesfalls als „Sensation“. Er betonte immer wieder, dass sich diese Mannschaft über Jahre entwickelte (Pesic war seit 1987 Trainer) und der sportliche Erfolg ein Resultat der konstanten Arbeit war. Kein Trainer fokussiert sich in seiner Arbeit mehr auf die Entwicklung einer Mannschaft und weniger auf die Zusammenstellung von individuellem Talent. Nach einer enttäuschenden Europameisterschaft 2022 mit Pesic als Trainer (die Serben „dominierten“ Spiel um Spiel nur um dann aus einer sportlichen Überheblichkeit heraus von Italien geschlagen zu werden) gibt es wohl für diese serbische Mannschaft, dieses „redeem team“, keinen besseren Trainer.
„Sveti“ ist allerdings auch „Sveti“ für unsere eigene Truppe. Kein Trainer einer gegnerischen Mannschaft kennt diese deutsche Mannschaft besser. Kein Trainer hat über Jahrzehnte immer und immer wieder Kontakt zu den Spielern gehalten und kennt deren Stärken und Schwächen – manche hat er sogar selbst „gecoacht“. Die Serbien werden herausragend auf Schröder und Co. vorbereitet sein.
Power Rankings
„Power Rankings“ bleiben “Power Rankings” – meist hochgradig subjektiv und immer nur eine Analyse zu einem spezifischen Zeitpunkt. Wir stehen nun vor dem letzten Spiel einer Weltmeisterschaft und bei lediglich zwei verbliebenen Mannschaften ist ein „Ranking“ womöglich auch nicht mehr zielführend. Dennoch ein kleiner Blick wie die Medienwelt „Sveti und Co.“ vor der WM gesehen haben.
FIBA: Rang 9
Basketnews: Rang 6
Fadeawayworld: Rang 8
Flashscore: Rang 9
Vorbereitungsspiele
08.08.2023 Serbien 71:65 Griechenland
09.08.2023 Serbien 88:89 Italien
16.08.2023 Serbien 110:75 Puerto Rico
20.08.2023 Serbien 87:64 China
21.08.2023 Serbien 89:85 Brasilien
Vorrundenspiele
26.08.2023 Serbien 105:63 China
28.08.2023 Serbien 94:77 Puerto Rico
30.08.2023 Serbien 115:83 Süd Sudan
Zwischenrunde
01.09.2023 Serbien 76:78 Italien
03.09.2023 Serbien 112:79 Dominikanische Republik
Viertelfinale
05.09.2023 Serbien 87:68 Litauen
Halbfinale
08.09.2023 Serbien 95:86 Kanada
Die “statistischen” Serben
Hinter den USA (102.6 PPG) „scoren“ die Serbien die zweitmeisten Punkte pro Spiel bei diesem Turnier mit durchschnittlich 97.7 Punkten. Mit 56% aus dem Feld trifft kein Team besser als unser Gegner am Sonntag – hier ist gerade die absurde Quote von 68.4% 2FG (Rang 1) auffällig, während 38.8% von jenseits der Dreierlinie nur „gut“ sind (Rang 8). Ebenfalls auffällig: kein Team bei diesem Turnier bekommt mehr Freiwürfe zugesprochen als Serbien (25.4) – diese werden dann allerdings nur solide getroffen (Rang 12 mit 77,6%). Konträr zu den „gezogenen Fouls“, foult das Team von Svetislav Pesic nur 16.7 mal – Rang 2.
An den Brettern kommt Serbien nur auf durchschnittlich 34.9 Rebounds pro Spiel (Rang 22), während gerade am offensiven Brett mit 8.1 Rebounds nur China und Lettland schwächer sind. Diese Werte darf man aber keinesfalls falsch interpretieren – die Serben „säubern“ ihre defensiven Bretter. Kaum ein Team hat eine höhere „Defensive Rebounding Percentage“. Die Serben sind kein „Shot Blocking Team“ (Rang 12) mit 3.0 BPG (Milutinov mit 0.7 BPG), sammeln jedoch 9.1 Steals pro Spiel ein (Rang 3) und verlieren dabei selbst nur 10.3 mal den Ball (Rang 3).
Players to watch
Unter den 20 besten „Scorern“ des Turniers gibt es nur einen Spieler mit Wurfquoten von mindestens 50% aus dem Feld und 40% von „Downtown“: Bogdan Bogdanovic. Mit 19.4 Punkten pro Spiel ist Bogdanovic nicht nur der beste Punktesammler der Serben, sondern mit einem durchschnittlichen Effizienzwert von 21.6 auch der effektivste Spieler. Bogdan nimmt 12.4 Würfe pro Spiel – davon sind 6.7 Dreier und 5.7 Würfe aus der näheren Distanz. Der Serbe ist hierbei keinesfalls nur eine Gefahr mit dem eigenen Wurf sondern ebenso als Spielgestalter: Bogdanovic verteilt durchschnittlich 4.6 Assists pro Spiel bei lediglich 1.6 Ballverlusten – eine Assist-Turnover-Ratio von nahezu 3:1. Am defensiven Ende ist er kein herausragender Verteidiger, aber ein Spieler der sehr klug in den Passwegen spekuliert und mit 2.3 Steals Rang 5 im Turnier belegt.
Kaum ein Spieler dieser WM agiert imposanter am Brett als Nikola Milutinov. Der Serbe ist mit 13.6 PPG und 9.0 Rebounds der zweiteffektivste Spieler (21.4 Eff) und der statistisch drittbeste Rebounder hinter Valanciunas und Edy Tavares. Nikola hält noch immer einen Rekord der EuroLeague, seitdem er vor knapp drei Jahren in einem Spiel 16 (!) offensive Bretter einsammelte. Während das gesamte serbische Team am defensiven Brett überzeugt, ist es im Angriff lediglich Nikola der situativ zweite Wurfchancen für die Mannschaft kreiert. Die Relevanz seiner Rolle wird noch deutlicher, wenn man erkennt inwiefern Coach Pesic den „Bigs“ Petrusev und Ristic „vertraut“ bzw. wie deren Rollen ausfallen. Milutinov wird auch im Finale hohe Minuten gehen müssen, damit Serbien das Spiel gewinnen kann.
Wie werden die Serben starten/spielen?
Pesic wird auch gegen Deutschland auf ein „three guard lineup“ in der Startformation vertrauen. Stefan Jovic (1.98m) wird den klassischen Ballvortrag übernehmen, während Bogdan Bogdanovic (1.96m) als primärer „Shooting Guard“ agiert und von Ognjen Dobric (2.01m) unterstützt wird. Dobric wäre hierbei die variablere Lösung in der Offensive, während auch ein Marinkovic schon Starterminuten gesehen hat, hierbei jedoch offensiv in erster Linie ein „spot up“ Werfer ist (von 5 Würfen sind 4.1 Dreier – 44.8% Quote).
Im Front Court sind Nikola Jovic (2.08m) als „Power Forward“ und Nikola Milutinov (2.13m) als „Center“ gesetzt. Diese fünf Spieler sehen in der Rotation die meisten Minuten mit einem Wert zwischen 22.5 MPG (Stefan Jovic) und 27.3 MPG (Bogdanovic).
Das „guard-lastige“ Spiel der Serben verändert sich strukturell auch mit den ersten Rotationsspielern von der Bank nicht – mit Guduric (SG, 1.96m), Marinkovic (SG) und Avramovic (PG, 1.92m) kommen drei weitere Spieler im Back Court auf Minuten, während Davidovac Minuten als SF/PF bekommt und Petrusev situativ als Center. Was aber auffällt: die Rotation im Front Court ist alles andere als tief. Lediglich Milutinov und Jovic in der ersten Fünf haben „Size“, während Ristic (2.14m) gar kein Faktor in knappen Spielen darstellt und auch ein Petrusev (2.11m) nur geringe Minuten (unter 10 Minuten gegen Kanada) bekommt.
Was ebenso auffällig ist: diese serbische Mannschaft hat zwei Gesichter. Es sind zwei Seiten einer Medaille die komplett konträr zueinander stehen und dementsprechend anders bespielt werden müssen.
„Lineups“ mit Stefan Jovic, Bogdanovic und Milutinov auf dem Feld agieren offensiv strukturiert und dominant, während am defensiven Ende viel über die „cleverness“ und das Stellungsspiel geregelt wird.
Das Gesicht wechselt dann allerdings komplett mit den Einwechslungen von Guduric und Avramovic. Die Serben wirken dann situativ wie eine Art „Guard Terror“ – speziell Avramovic, einer der besten Perimeterverteidiger des Turniers, kann hier über seine defensive Präsenz ein Spiel dominieren wie kein anderer. Im Halbfinale hat hier auch ein SGA seine Probleme bekommen und im Finale wird nun Dennis Schröder Lösungen finden müssen.
Wie stehen unsere Chancen?
Deutschland steht vor einer schwierigen Aufgabe. Dieser „Kick“, dieser Höhepunkt aus dem Spiel gegen die USA muss schnell verarbeitet werden, damit das Finale fokussiert angegangen werden kann. Ein solider Vergleich wäre die Basketball Weltmeisterschaft 2006. Die griechische Mannschaft spielte ein absurdes Halbfinale gegen die USA (gespickt mit Spielern wie LeBron James, Carmelo Anthony, Dwyane Wade) und gewann mit 101:95, nur um dann im Finale gegen eine spanische Mannschaft OHNE einen verletzten Pau Gasol mit 47:70 komplett chancenlos zu sein.
Was ich damit sagen will: auch ein Sieg muss „verdaut“ und eingeordnet werden.
Mit Deutschland und Serbien stehen nicht die Summen der besten Individualisten im Finale, sondern es spielen die beiden besten Teams gegeneinander. Während das deutsche Team bereits vor dem Turnier als Medaillenkandidat gehandelt wurde, entwickelte sich Serbien von Spiel zu Spiel und agiert trotz weniger Talent nahezu fehlerfrei.
Viele werden mich nach meinem Halbfinaltipp (ich prognostizierte einen „blow out“ für die USA) erneut für verrückt halten, jedoch sehe ich die Chancen nach einer Nacht mit viel „Schlaf“ leicht „pro Serbien“ und nicht mehr mit minimalen Vorteilen für unsere Mannschaft. Deutschland wird mit Serbien auf eine Mannschaft treffen, die schlichtweg weniger Fehler macht und sich gerade am defensiven Ende nicht bei simpelsten Spielzügen (pin downs, screen-the-screener, post-ups) vergleichbar naiv wie die Amerikaner anstellen wird.
Die Serbien haben zwar weniger „Size“ in ihrer Rotation im Front Court, jedoch machen sie dies gerade über die Größe auf kleineren Positionen wett. Sie werden sich keinesfalls über die Arbeit am Brett oder durch „lazy switches“ am Perimeter besiegen lassen. Das Team um Pesic hat schlichtweg keine klare Schwäche – solange man die Mannschaft als Gesamtheit betrachtet. Wird das Finale „eklig“, kann es schnell Szenarien geben, in denen primär über die individuelle Qualität der Spieler gescort wird und hier sehe ich Deutschland aufgrund der zahlreichen Ausfälle der Serben leicht vorne. Ob ein Svetislav Pesic dies zulässt? Ich kann es mir nicht vorstellen.
Bitte haltet mich nicht für verrückt, aber ich tippe auf ein +5 für Serbien.