Das war gestern für drei Viertel ein sehr gebrauchter Abend. Erst nach den drei gleichzeitig verhängten technischen Fouls ging ein Ruck durch die Mannschaft und man kam nochmals nah dran, den Bock umzustoßen, was aber leider nicht mehr geklappt hat. Die Halle war dann auch voll da. Insgesamt aber trotzdem eine schlechte Leistung, offensiv wie defensiv, und eine hochverdiente Heimniederlage. Die Schwächen, die sich schon durch die gesamte Saison ziehen, traten gestern einmal mehr offen zutage, dazu kam eine schwache Defensivleistung. Diese in jedem Auswärtsspiel zu beobachtenden offenen Wunden, die in Heimspielen eigentlich nicht in dieser Form auftreten, betreffen namentlich:
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Heroball in der Offense: Das war gestern wieder sehr schwer anzusehen. Es gibt kaum Systeme in der Offense. Das meiste läuft einfach über (oft kopflose) Einzelaktionen, weil man ansonsten ideenlos ist. Regelmäßig wird bei viel Zeit auf der Uhr einfach von der Dreierlinie mit der Hand im Gesicht drauflosgeballert. Die Würfe kann man bei fünf Sekunden auf der Uhr nehmen, aber nicht so. Es ist bei dieser Wurfauswahl kein Zufall, dass Kirchheim die schlechteste Dreierquote der Liga hat. Ohne nachgeschaut zu haben glaube ich auch kaum, dass es viele Mannschaften gibt, die mehr Dreier nehmen als wir. Und dann ist das kumuliert eine sehr schlechte Kombination. Das Einzige, was offensiv zuverlässig funktioniert ist Ty Nash unter dem Korb, aber das wissen die Gegner natürlich auch und doppeln häufig und da verliert er dann ab und zu den Ball. Wieso spielt man nicht mal ein Pick & Pop für Niedermanner oder so? Man spielt ja auch eigentlich nie ein Pick & Roll mit Nash oder Muszynski. Überspitzt ausgedrückt: Entweder man gibt Nash den Ball zum aufposten oder irgendjemand nimmt einen ganz schwierigen Dreier. Ab und zu noch Richie oder Flowers mit einem Halbdistanzwurf oder Besnik mit seinem Floater. Nur sehr selten gelingt es mal, einen Spieler an der Dreierlinie freizuspielen. Spontan fällt mir da nur das Play ein, bei dem Niedermanner dann aus der Ecke mit dem Dreier abschließt (das kann er gut, wobei seine Dreierquote leider auch sehr schwankend ist. Von sehr sicher bis nah dran am Airball ist da alles dabei). Man müsste sich viel mehr auf die Bassics besinnen. Ich finde, man merkt auch sehr deutlich, dass die Verletzung von Lightfoot dem Offensivspiel sehr wehgetan hat. Er war unter dem Korb kaum zu stoppen und hat dadurch den Offensivspiel insgesamt sehr gut getan. Die Spiele mit ihm waren offensiv deutlich besser anzuschauen, weil er unter dem Korb sicher kreieren konnte (da hatte man schonmal 10-15 vergleichsweise leicht verdiente Punkte pro Spiel) und durch das Doppeln natürlich dann Platz geschaffen hat. Ich bin mir sicher, dass Kirchheim mit ihm 2-3 Siege mehr auf dem Konto hätte. Ihn würde ich sehr gerne nochmal in Kirchheim sehen, das ist mit seinen in den nur wenigen Spielen gezeigten Leistungen aber kaum realistisch. Muszynski kommt offensiv leider nicht an sein Niveau ran. Er scort eigentlich nur nach Offensivrebounds, ist aber ansonsten offensiv limitiert. Trotzdem füllt er seine Rolle natürlich sehr ordentlich aus,
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Flowers ist ein begnadeter Scorer, wahrscheinlich der beste in der Liga zurzeit, aber ihm wird nicht geholfen. Eigentlich jeden seiner Punkte muss er sich im 1:1 hart verdienen. Jeder seiner Dreier ist eigentlich ins Gesicht vom Gegner (die trifft er dafür sehr gut, wenn auch nicht gestern). Ich kann mich an keinen einzigen richtig freien Dreier von ihm in der Saison erinnern. Wenn er dazu dann - wie gestern – nicht die Pfiffe beim Zug zum Korb, den er auch sehr gut kann und für meine Begriffe zu selten auspackt, bekommt, hat er es sehr schwer. Für mich wirkt er häufig auch nicht so zufrieden.
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Das führt zum nächsten Punkt: Richie Williams, dessen Karriere ich schon seit über zehn Jahren verfolge, ist leider nicht mehr auf die gewohnten Niveau. Das tut etwas weh zu schreiben, weil ich schon lange ein riesiger Fan von ihm bin und er hat schon sein insgesamt drittes Jahr für Kirchheim spielt. Aber leider hat er im Vergleich zum letzten Engagement spürbar abgebaut. Er wird nicht jünger und für seine Leistungen ist es sicherlich auch nicht förderlich, wenn er regelmäßig deutlich über 30 Minuten gehen muss. Gerade gestern in der ersten Halbzeit konnte er keine Struktur ins Spiel bringen und hat auch den ein oder anderen Wurf genommen, der extrem überhastet und unnötig war. Für meine Begriffe nimmt er viel zu viele schwierige Würfe bei 17 Sekunden oder so auf der Uhr, wo noch nicht mal die eigenen Großen unter dem gegnerischen Korb angekommen sind. Das ist natürlich ein wenig seine Spielweise, trotzdem ist das für mich aktuell zu viel des Guten. Viel zu selten findet er den freien Mann. Wenn man nicht gerade nach 7 Sekunden oder so abschließt, spielt macht halt 2 Hand-offs und nimmt dann den schwierigen Dreier. Set-Play sieht man wirklich selten (vielleicht bin auch einfach nur zu blöd dafür). Gut gefällt mit dagegen Bulajic, der hat riesiges Potential und mit dem werden wir nächste Saison viel Spaß haben (zumal er aufgrund seiner Ausbildung in Ulm trotz seiner montenegrinischen Staatsangehörigkeit als Deutscher gilt). Leider hat er sich gestern erst spät getraut, selbst abzuschließen. Ich finde, man muss Richie minutentechnisch deutlich mehr entlasten. Ich verstehe z.B. nicht, wieso Besnik nicht mal 10 Minuten den Ball bringen kann, das hat er doch über Jahre hinweg in der Liga gut gemacht. Mittlerweile macht er das gar nicht mehr und wenn Richie nicht auf dem Feld ist, mimt Ty Nash den Aushilfspointguard oder Flowers bringt den Ball, was auch nicht gerade seine Stärke ist. Er ist ein Scorer, kein Spielmacher.
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Keine klare Rollenverteilung. Die einzigen drei Spieler mit einer klaren Rollenverteilung sind Nash, Williams und Flowers. Das sind auch die einzigen, die sich in schwierigen Situationen wirklich wehren können. Für Kayne Henry hat man in der gesamten Saison keine klare Rolle gefunden. Für meine Begriffe ist er auch kein richtiger Power Forward (mangels Physis und Low-Post-Game), sondern vielmehr ein Small Forward, für den man aber irgendwie keine richtige Verwendung hat. Man hat es bis auf 1-2 Spiele auch nicht geschafft, seine Stärken (überragende Athletik) richtig einzusetzen. Statt mit seiner Schnelligkeit zum Korb zu ziehen, lungert er meistens an der Dreierlinie rum. Dazu verlegt er häufig (gestern auch einen) relativ viele einfache Korbleger oder verstopft sich. Auch bei den deutschen Spielern gibt es keine klaren Rollenverteilung. Die Starting Five wechselt auf den deutschen Positionen regelmäßig munter durch. Auch die Minutenverteilung schwankt von Spiel zu Spiel extrem. Ein Spieler spielt in einem Spiel 5 Minuten, im nächsten 25 und dann wieder nur noch zehn im darauffolgenden Spiel. Ich kann mir kaum vorstellen, dass das für den einzelnen Spieler förderlich ist. Gute Mannschaften funktionieren in der Regel nur mit einer klaren Rollenaufteilung, alles andere führt zu Frust. Bekteshi kam gestern z.B. erst, nachdem Giese ausgefoult war und hat dann ein sehr ordentliches Spiel gezeigt. Für einen Mann seiner Qualität kann das kaum zufriedenstellend sein, auch wenn er diese Saison noch nicht so stark abliefert, nachdem er zu Anfang der Saison lange ausgefallen war.
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Keine Konstanz auf der den deutschen Positionen: Ich finde, die deutschen Positionen sind nominell für Kirchheimer Verhältnisse ziemlich gut besetzt. Leider schwanken die Leistungen bei jedem Spieler extrem. Es gibt keinen, der konstant ein gewisses Niveau abliefert. Bei Niedermanner (ich bin ein großer Fan von ihm) schwanken leider sehr gute und schlechte Leistungen extrem. Ebenso bei allen anderen. Giese, der gestern ein gutes Spiel gemacht hat, neigt leider dazu, etwas zu überdrehen. Mir ist auch unverständlich, wieso der bei seiner Quote von rund 20 Prozent über vier Dreier pro Spiel werfen darf. Von mir aus kann der werfen, wenn er ganz frei ist, aber da ist auch viel dabei mit Hand im Gesicht (ebenso bei Kayne Henry). Er hat doch eigentlich auch eine gute Physis und einen guten Zug zum Korb (wie man gestern sehen konnte), das sollte er häufiger nutzen. Auch bei Pickett wechseln sich Licht und Schatten ab. Der Saisonbeginn war schwach. Offensiv war er kaum zu gebrauchen und hat die Bälle wie eine heiße Kartoffel weggeworfen. Zwischendurch war er dann bei regelmäßig über 20 Minuten und hat sehr starke Leistungen gezeigt, wie z.B. gegen Vechta. Seit der Verpflichtung von Muszynski verfällt er wieder in alte Muster. Symptomatisch gestern wieder die Aktion relativ zu Anfang des Spiels, wo er zum Korb zieht und man schon im Ansatz sieht, dass das niemals etwas werden. Er hat denke ich großes Potential, wenn er ruhiger und selbstbewusster agiert. Das braucht aber noch Zeit, bis er das konstant zeigen kann.
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Auch auf den amerikanischen Positionen gibt es kaum Konstanz. Nash ist der einzige, der zuverlässig abliefert. Bei Richie wechseln sich Licht und Schatten regelmäßig ab. Flowers liefert eigentlich auch relativ zuverlässig, aber bekommt wie gesagt kaum Unterstützung. Wenn er dann die schwierigen Dreier nicht trifft, hat Kirchheim es schwer, zumal Flowers natürlich in der Defense seine Defizite hat.
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Keine Konstanz innerhalb des Spiels: Man hat eigentlich in jedem Spiel, selbst in Heimspielen, 10 oder mehr Minuten, die komplett zum wegwerfen sind. Häufig ist es der Start und dann läuft man lange Zeit einem Rückstand hinterher. Eigentlich verteidigt Kirchheim sehr gut, manchmal wird man aber in wenigen Minuten abgeschossen. Gestern hat Münster am Anfang mit demselben Play jedes Mal den freien Mann an der Dreierlinie gefunden, welcher auch immer eiskalt geblieben ist. Da muss man besser reagieren. In Heimspielen bekommt man das oft noch gedreht (selbst bei -20) und begeistert das Publikum, auswärts erholt man sich nicht mehr davon und wird so wie in Dresden humorlos abgeschossen. Umgekehrt war es z.B. beim vorletzten Heimspiel gegen Dresden, da hat man am Ende einen 12-Punkte-Vorsprung in den letzten fünf Minuten fast noch weggeworfen. Natürlich ist Basketball ein Spiel der Läufe. Aber diese Saison ist es schon extrem. Man bekommt gegnerische Runs viel zu spät gestoppt. Wenn man merkt, dass der Dreier nicht fällt, muss man halt konsequent Nash unter dem Korb anspielen oder zum Korb ziehen und sich die Punkte an der Freiwurflinie erarbeiten. Von Perovic würde ich mir da häufig wünschen, lauter an der Seitenlinie zu sein, um Einfluss auf das Spiel zu nehmen und den gegnerischen Run zu stoppen (ich weiß, das ist nicht seine Art). Ich finde, dass er, wenn er merkt, dass es nicht läuft, ruhig regelmäßig beim Schiedsrichter meckern und sich ein T abholen kann, damit die Halle ins Spiel kommt und die Schiedsrichter die nächsten 2-3 engen Situationen für Kirchheim pfeifen. Das gilt umso mehr, als dass technische Fouls ja nicht mehr so streng geahndet werden wie noch vor ein paar Jahren. Den einen Freiwurf kann man gut verkraften. Ohne die drei gleichzeitigen technischen Fouls gestern wäre das Spiel wohl weiter dahingeplätschert und man hätte sang- und klanglos mit -25 verloren. So hat man die Halle nochmal voll ins Spiel gebracht und eine Reaktion der Mannschaft heraufbeschworen und dadurch eine realistische Chance gehabt, das Spiel doch noch zu drehen. So haben wenigstens die letzten paar Minuten noch Spaß gemacht.
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Im Kontrast zu diesen schlechten Minuten hat man eigentlich auch immer ein paar überragende Minuten, die richtig Bock machen. Gestern im viertel Viertel zeitweise eine richtig gute Defense gespielt, die Presse war sehr gut und Nash hatte 2 gute Ballgewinne. Man kam von -25 auf -5 ran bei ca. 3 Minuten auf der Uhr. Da war plötzlich wieder alles offen. Und dann hat man in der entscheidenden Phase leider 1-2 Offensivrebounds zugelassen und zu ungeduldig im eigenen Angriff agiert und dann war es vorbei. Münster ist da in einer sehr schwierigen Phase bei einem lauten Publikum cool und abgezockt geblieben, muss man einfach so anerkennen. Leider reichen 5 oder 10 überragende Minuten nicht, um ein solches Spiel mit einer solch hohen Hypothek noch zu gewinnen. Ich war überrascht, dass Kirchheim und Münster am Ende gleich viele Rebounds hatten. Subjektiv war Münster da viel präsenter, jedenfalls in den entscheidenden Situationen.
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Insgesamt bleibt ein überraschendes und ambivalentes Fazit. Die Saison ist ein Auf und Ab. Es gab gerade bei Heimspiele schon viele überragende Momente und ich bin mir sicher, es wird noch einige geben. Man kann an guten Tagen mit jedem Gegner der Liga mithalten. Der Fakt, dass es viele Kritikpunkte gibt, aber ich – den Neuzugang Muszynski mal außern vorgelassen – eigentlich mit jedem Spieler (außer Henry und wahrscheinlich auch Williams, es sei denn mit einer deutlich reduzierten Rolle) verlängern würde, zeigt, dass viel mehr möglich wäre und in der Mannschaft viel mehr Potential steckt, als sie regelmäßig zeigt. Die Playoffs sind erstmal in weite Ferne gerückt. Nächste Woche kommt Trier, die uns auch nicht unbedingt liegen. Da muss man unbedingt gewinnen, um die Chance auf die Playoffs zu wahren. Für den Standort Kirchheim und die Hallendiskussion wäre eine Playoffsteilnahme – vielleicht mit einem Eventspiel in Göppingen – sicherlich viel wert. Mein – zugegebenermaßen etwas in die Ferne gerückter, aber nicht gänzlich unrealistischer – Wunsch wäre ein siebter Platz nach der regulären Saison und dann eine Playoffs-Serie gegen Tübingen. Der Fakt, dass die Mannschaft an guten Tagen jeden schlagen kann (das trifft so denke ich auch nicht auf jede Mannschaft in der Liga zu), ist in den Playoffs Gold wert. Dafür muss aber noch viel passieren.
Münster hat mir gestern richtig gut gefallen, trotz der ganzen Verletzungssorgen. Geduldig gespielt und immer den freien Mann an der Dreierlinie gefunden. Bei den ganzen freien Würfen muss Kirchheim sich nicht über die Dreierquote von rund 50 Prozent (bei über 30 Versuchen!) beschweren. Chapeau! Seiferth gestern der überragende Mann. Es hat Kirchheim sehr wehgetan, dass der seine Dreier so trifft, damit hat Kirchheim nicht gerechnet, so frei wie der gelassen worden ist (spätestens nach dem zweiten hätte man aber anfangen können, das zu verteidigen). Ein Wort noch zu Björn Harmsen: Ich halte ihn für einen sehr guten Trainer. Ein Mann seiner Klasse hat es sicherlich nicht nötig, bei jedem der gegnerischen Freiwürfen ständig reinzurufen.
Wo war eigentlich Tim Koch die letzten beiden Spiele? Ich halte ihn immer noch für einen wichtigen Faktor, gerade auch, weil er sehr ordentlich verteidigt.