Ich wollte auch noch meinen Senf zu den gestrigen Viertelfinals abgeben, die ich allesamt im Relive gesehen habe, ohne zuvor das Ergebnis zu wissen (danke ZDF :)).
Es ist ein sehr langer Beitrag geworden, also wenn ihr keinen Bock habt, euch das durchzulesen, ist das sicher nachvollziehbar, dann scrollt einfach schnell runter
Deutschland - Slowenien:
Deutschland darf man zu dem/n super Turnier(en) gratulieren. Die Mannschaft hat als Einheit funktioniert, immer alles gegeben, sich angefeuert und in vielen Spielen zurückgekämpft, was immer ein Zeichen für eine gute Teamchemie ist - das gilt es zu honorieren. Es war jedenfalls das Beste, was ich von der deutschen Nationalmannschaft bisher gesehen habe (verfolge sie seit 2010). Das sollte erst einmal im Vordergrund stehen.
Das Prunkstück der deutschen Mannschaft war die Defensive. Stellenweise wurde ja aufgrund teils hoher Spielergebnisse das Gegenteil geschrieben, aber viele gegnerische Punkte weisen nicht immer auf eine schlechte Verteidigung hin. Denn wenn man überdurchschnittlich viele Ballverluste produziert, erzielt die andere Mannschaft natürlich auch überdurchschnittlich viele einfache Punkte und es gibt in der gesamten Partie mehr Angriffe.
Ob jetzt vor allem Henrik Rödl oder sein Assistenzcoach für die Defensivleistung verantwortlich ist, können wir nicht sagen. Man darf aber stolz darauf sein, dass die Deutschen jedem Team (inklusive Australien und Slowenien) in bestimmten Phasen mit ihren Abwehrrotationen Probleme bereitet haben. Die Pick-and-Roll-Verteidigung war mit die Beste aller Mannschaften dieses Turniers, da hatten auch Patty Mills und Luka Doncic ihre Schwierigkeiten. Mills punktete am besten in jenen Plays, bei denen man Deutschland schon ins rotieren gebracht hatte. Und wäre Zoran Dragic in der ersten Hälfte nicht dermaßen heiß gelaufen, hätte auch Doncic gegen die Deutschen schlechter ausgesehen.
Die Offensive war wiederum die große Schwäche der Mannschaft, was gegen Kroatien und Brasilien noch nicht ganz so ins Gewicht fiel. Man kann darüber streiten, ob die offensiven Defizite an der Qualität der Spieler oder der offensiven Strategie insgesamt lagen. Je besser die Spieler dribbeln, penetrieren, in die Räume laufen, für andere kreieren, desto flüssiger geht es natürlich zu. Da ist sicher generell viel Nachholbedarf im deutschen Basketball und an dieser Stelle finde ich es auch sehr interessant, was @Merlin-0 über die slowenische Jugendarbeit berichtet hat. Nicht umsonst wurden slowenische Minitrainer schon vom DBB eingeladen:
Auf der anderen Seite glaube ich schon, dass man diese Schwäche mit mehr offensiver Variabilität stärker hätte kaschieren können. Gerade dadurch, dass man auf der Point-Guard-Position keinen überragenden Mann hatte, der mit seinen Drives oder Passfähigkeiten ständig Vorteile generiert, wären meiner Meinung nach Plays, in denen Blöcke abseits des Balls gestellt werden, Bewegung generiert wird, etc. viel Wert gewesen. Oft waren Spieler wie Lo, Wagner oder Voigtmann auf sich allein gestellt, um irgendwie noch einen vernünftigen Wurf aus den restlichen Sekunden der Shot-Clock zu generieren. Manchmal ist das gelungen, aber manchmal sind daraus auch Ballverluste entstanden.
Natürlich braucht ein Team entsprechend Zeit, um ein Repertoire an Plays zu etablieren, die dann auch funktionieren. Das hängt sehr viel mit Kontinuität zusammen. In Australien und Litauen spielen sie, soweit ich weiß, in allen Jugendteams mit derselben Flow-Offense. Frankreich und Spanien haben Trainer, die beide schon ewig im Amt sind und Spieler, die ihre bevorzugten Plays kennen.
Ich wäre jedenfalls überhaupt kein Fan davon, schon wieder einen Trainerwechsel zu forcieren. Rödl erreicht die Mannschaft und hat sie gut auf die Gegner vorbereitet. Eventuell könnte man ihm noch ein, zwei Leute zur Seite stellen, die sich stärker auf die angesprochenen Defizite in der Offensive kümmern.
Glückwunsch an die deutsche Mannschaft für das beste Abschneiden seit 1992! Das macht Zuversicht auf eine tolle Heim-EM
Spanien – USA:
Hier hat @Henk viele Dinge angesprochen, die ich genauso sehe. Für mich fiel die Entscheidung vor allem im zweiten Viertel. Dort haben sich die Spanier einen Vorsprung von 10, 12 Punkte erarbeitet. Bis zur Halbzeit konnte die USA diesen Vorsprung aber komplett aufholen. Im dritten Viertel kamen Durant und Co. dann zu ihrem Rhythmus und waren nicht mehr zu stoppen.
Was mich sehr geärgert hat, war dass Sergio Rodriguez, der für mich (trotz Rubios Punkte) Spaniens bester Mann war, so wenig gespielt hat. Im zweiten Viertel war er wesentlich für den Lauf seines Teams verantwortlich. Ihn dann wieder rauszunehmen, war für mich völlig unverständlich.
Generell hätte ich Rubio und Rodriguez gerne viel häufiger zusammen auf dem Feld stehen sehen. Bei aller Liebe für Sergio Llull und Rudy Fernandez, aber das sind einfach eindeutig die besten Guards der Spanier. Sie haben, soweit ich mich erinnere, erst im vierten Viertel zusammengespielt und da war es dann einfach zu spät.
Dass die Gasol-Brüder so wenig gespielt haben, kann ich auch nicht nachvollziehen, da bin ich derselben Meinung wie @Henk . Die Franzosen haben doch gezeigt, dass man die USA mit großen Leuten schlagen kann. Natürlich sind die Gasols längst über ihrem Zenit, aber mit ihren Post-Moves und ihrem Spielverständnis hätten sie etwas ins Spiel gebracht, was Spanien wirklich hätte gebrauchen können. So hat sich die Partie zu einem reinen Kampf der Flügelspieler entwickelt und wenn Durant da erstmal heiß läuft und die anderen US-Spieler auch ihren Rhythmus finden, ist es vorbei.
Frankreich – Italien:
Das war die erwartet knappe Partie. Letztendlich treffen viele Dinge, die ich über Deutschland geschrieben habe, auch auf Italien zu. Sehr starke Defense, aber offensiv in den entscheidenden Szenen nicht genügend Mittel, um sich durchzusetzen. Wer mich im Turnier aber bisher am meisten beeindruckt hat, ist Simone Fontecchio. Es würde mich nicht überraschen, wenn man ihn früher oder später in der NBA sieht.
Australien – Argentinien
Was ich immer noch nicht richtig fassen kann, ist dass Argentinien mit dieser Mannschaft vor zwei Jahren Serbien und Frankreich geschlagen und die Silbermedaille gewonnen hat. Das zeigt einfach, wie es auch im Basketball eine deutlich schwächer besetzte Mannschaft mit dem richtigen Einsatz enorm weit bringen kann. Diese Silbermedaille 2019 ist für mich noch höher anzurechnen als Gold in Athen und der beachtlichste Erfolg von Luis Scola. Auch nach dem Ende der goldenen Generation hat er seinem Team den Glauben gegeben, jede Mannschaft schlagen zu können.
Dieses Mal ist eine derartige Überraschung nicht gelungen und man hatte gegen die Top-Teams wie Australien keine Chance. Ich hoffe, dass uns Argentinien auch nach dem Abtritt des „letzten Mohikaners“ als Basketballnation erhalten bleibt.
Insgesamt haben alle Favoriten ihre Spiele für sich entscheiden können und es stehen nun auch wirklich die vier besten Teams des Turniers im Halbfinale. Ich erwarte, dass beide Halbfinals sehr eng zugehen werden. Vor dem Turnier war meine Prognose ein Finale zwischen Australien und Slowenien. Aber so wie die USA mittlerweile im Rhythmus ist, muss Australien einen super Tag erwischen. Dann ist das Wunder möglich. Ich drücke die Daumen.
Mit Marc und Pau Gasol sowie Luis Scola verlassen drei der größten Spieler der Geschichte des FIBA-Basketballs die Bühne. Damit heißt es auch Abschied nehmen von Vorbildern, denen ich bereits als Kind nachgeeifert habe.
Wenn ihr es bis hierhin geschafft habt – danke für’s durchlesen!