Habemus Kader - Eine Saisonvorschau
Mit der Verabschiedung der letzten noch nicht verabschiedeten Spieler, und der Verpflichtung der letzten noch ausstehen neuen Akteure ist nun auch formal der Übergang der Champions-League Sieger Saison in die Saison 23/24 geschafft. Der letzte Trennungsschmerz wird nun noch im Paris-Kaderthread verarbeitet, hier gilt es jetzt den Blick wirklich mal nach vorne zu richten. In diesem Sinne habe ich mich mal an eine Saisonvorschau gesetzt. Da wir quasi einen kompletten Kaltstart hinlegen, und somit wenige Bezugspunkte haben ist das ein etwas gewagtes Unterfangen, aber was will man machen…
Eigentlich ist eine Saisonvorschau ein relativ geradliniges Ding: Es startet mit der Spielidee und Identität von Trainer und Verein, schaut dann ob die Kader zusammenstellung dazu passt, und endet, je nachdem wie gut es denn passt mit einem Ausblick. Mein Problem dieses Jahr ist, dass schon der erste Punkt irgendwie etwas unklar ist. Die Baskets haben, Stand heute eine Wunschidentität, nämlich das Fortzuführen was in den letzten zwei Jahren, als Renaissance der frühen 2000der Jahre wiederbelebt wurde: Defensiv starker, von Emotion und Einsatz getragener Team-Basketball in einer Halle von positiv Verrückten. Ein ewiges Karnevalsspiel aber nicht immer verkleidet.
Bis auf den Karneval-Teil ist das eine Identität die viele Teams als Ziel ausgeben, und wenige erreichen, oft erscheint das wie eine Floskel die man halt so sagt. Ob es gelingt das auch dieses Jahr wieder mit Leben zu füllen hängt zu ganz wesentlichen Teilen von Raoul Moors ab. Er kommt mit der Empfehlung mehrerer “viel aus einem Mittelmäßigen Team herausgeholt” Saisons nach Bonn. Was er in Göttingen und zuvor in Belgien erreicht hat ist aller Ehren wert und hat ihn zu einem der angesehensten Trainer in der BBL gemacht. Die etwas enttäuschende Saison in Bamberg ist insoweit verzeihlich, als dass es nach seinem Weggang aus Bamberg keineswegs besser wurde. In Bonn hat er das Glück, dass sein Vorgänger so große Fußstapfen hinterlassen hat, dass alle davon ausgehen, dass diese nicht voll auszufüllen sind, gleichzeitig ist die Erwartungshaltung, gerade bei den neu dazugewonnenen Fans aus den letzten beiden Jahren sicherlich etwas höher als es nüchtern betrachtet sein sollte.
Interessant ist es sich ein paar Statistiken seiner Teams anzuschauen, und in das jeweilige Ligaumfeld einzuordnen. Auffallend ist zunächst, dass nichts auffällt. Seine Teams sind vom statistischen Profil her sehr „konservativ“, das heißt sie ragen in keiner Kategorie besonders heraus, fallen aber auch in keiner Kategorie besonders ab. Sie spielen immer eine Pace die ungefähr dem Ligaschnitt entspricht, nehmen nicht ungewöhnlich viele Dreier, werfen durchschnittlich viele Freiwürfe und Rebounden offensiv durchschnittlich, dafür aber defensiv ein bisschen besser als der Schnitt. Auffällig sind aus meiner Sicht zwei Aspekte:
In den Jahren in denen er ein Team trainiert hat, dass eher zu den finanziell besser gestellten Teams der Liga gehört hat (Antwerpen und Bamberg), waren seine Teams defensiv Teils deutlich besser als der Ligaschnitt (selbst in Bamberg) und jeweils wirklich gute Rebounding Teams, in den drei Göttinger Jahren (Budget eher unteres Tabellendrittel) hat er die Flucht in die Offensive gesucht, und die Teams waren defensiv unterdurchschnittlich und offensiv ok. Von den Zahlen her lässt er einen sehr ausgeglichenen Basketball, ohne besondere „Schwerpunkte“ spielen. Wenn sich das in Bonn fortschreibt wird das sicherlich ein großer Kontrast zum „Konzept-Basketball“ von Isalo werden, der ja ganz klare Schwerpunkte (Offensiv Rebounding, Posession Game gewinnen und dafür ein paar Prozent bei der Wurfquote opfern etc…) gesetzt hat.
Nach Aussen wirkt Moers auf jeden fall extrem pragmatisch und transportiert nicht den Anspruch Basketball neu zu erfinden. In einem Interview vor seiner Göttinger Zeit hat er die Aspekte Motivation (Nur Spieler die auch wirklich für den Verein spielen wollen), Athletik und Shooting als Kernaspekte beim Recruiting genannt, das wird vermutlich jeder Trainer der Welt genauso unterschreiben. Was interessanter ist die Aussage „In der BBL brauchst Du viele „Creators““ was in Göttingen das Ergebnis hatte dass er den Kader eher Guardlastig zusammengestellt hat. Spannend wird auch sein wie sich im neuen Coaching Team mit Bosco und Stankovic eine neue Baskets Identität ergibt. Stankovic hat eineige jahre mit Isalo zusammengearbeitet, Bosco hat letzte Saison in Liege (mit mittelmäßigem Erfolg, keine Ahnung was das Budget seines Teams war) einen sehr schnellen (zweithöchste Pace der Liga) Basketball gespielt, der von den Statistiken her stark an Isalo-Ball erinnert (Viele Offensivrebounds, Posession game gewinnen, hoher Druck auf Ball und Gegner). Es wird spannend zu sehen wie sich diese Einflüsse mit dem etwas konservativeren Basketball von Moers verbinden
Wir werden vermutlich etwas „klassischer“ spielen. Ich könnte wir vorstellen, dass wir gegen Transition des Gegners nicht proaktiv (wie unter Isalo mit Tagging) sondern eher durch schnell zurücklaufende Safeties agieren werden. Andererseits hat sich die Tagging Idee bereits letzte Saison in der BBL ziemlich breitgemacht und einige Teams haben das in Ansätzen versucht, kann also sein, das es in der BBL eher Usus wird.
Ich würde erwarten, dass wir etwas weniger heliozentrisch sind und die Flügelspieler stark in die „Creation“ eingebunden werden. Nicht vor allem als Post-Up Optionen wie letzte Saison sondern auch als Passgeber von außen. So wie sich der Kader zusammensetzt haben wir sehr viel Shooting von den großen Positionen, was für viel Pick&Pop (klein/groß) oder aber Drive and Kick spricht. Dadurch dass auch zumindest Frey eine gefährliche Scoring Option auf der 1 ist, ergeben sich da extrem viele Möglichkeiten das Spacing zu gestalten. Defensiv erwarte ich vor allem Disziplin und Solidität jedoch keine ungewöhnlich neuen Konzepte.
Wenn ich also davon ausgehe, dass wir einen eher pragmatischen Teambasketball spielen werden, der die Welt nicht neu erfindet, und sich durch viel Kreation, nicht nur vom Lead-Guard auszeichnet, dann ergibt der Kader so wie er zusammengestellt ist sehr viel Sinn.
Was auf den ersten Blick auffällt wenn man auf den Kader schaut sind vier Dinge:
• Es gibt nur 4 Spieler die sich bereits als gute BBL Spieler bewiesen haben und bei denen man sehr sicher sein kann, dass sie auch nächste Saison gute BBL Spieler sein werden. (Sengfelder, Pape, Frey, Turudic), davon sind aber die ersten Drei auch überdurchschnittlich gute BBL Spieler.
• Der Kader ist extrem groß, nicht zahlenmäßig sondern was die Körpergröße angeht. Von den 10 für die Reguläre Rotation eingeplanten Spielern (11 wenn man Flo Koch dazu nimmt) sind 6 über zwei Meter groß, dazu noch Koch mit 1,97, Fobbs mit 1,96 und die zwei Minis, sind Frey mit 1,88 und Watson mit 1,83. Macht im Durchschnitt 1,99, letztes Jahr galten wir als sehr groß und Athletisch und der Durchschnitt war 1,96
• Bis auf Die beiden nominellen Brettcenter Turudic, und Kennedy, ist jeder einzelne Spieler in der Lage aus der Distanz zu treffen, teils durchschnittlich gut (Griesel, Flagg), teils überdurchschnittlich gut (Pape, Sengfelder).
• Ich habe in meiner Saisonvorschau viele neue BBL Spieler analysiert, Die Bonner Verpflichtungen fallen insbesondere durchgängig dadurch aus, dass sie im Vergleich mit anderen Spielern auf Ihren Positionen durchweg sehr effiziente Scorer sind, was für eine kluge Wurfauswahl Quoten spricht.
Entsprechend der Erwartung, dass Moors möglichst viel Kreation von unterschiedlichen Positionen haben will ist auffällig dass einige der Neuverpflichtungen explizit als gute Passgeber auf Ihren Positionen eingeschätzt werden. Nicht nur die beiden Guards Frey und Watson fallen durch ein gutes Assist-Turnover Verhältnis auf, auch Flagg, Kennedy und Griesel werden für ihr Passpiel gelobt.
Auffallend auch, dass wir (im Gegensatz zu ein paar anderen BBL Teams) praktisch komplett auf einen klassischen Center verzichten. Unsere beiden Center (Turudic und Kennedy) sind vor allem “Hilfsspieler”. Sie sollen Energie bringen, Rebounden, Blöcke stellen und Abrollen. Es wird kein oldscool “Inside-Out” Spiel geben, zumindest nicht über die Center. Was jedoch ein wirklich signifikantes Charakteristikum des Teams ist, ist dass wir gleich zwei hervorragende Stretch Vierer haben. Sengfelder und Pape sind letzte Saison wenn nicht die besten, dann doch unter den besten Stretch Bigs der Liga gewesen. Beide sind sehr gute Distanzschützen aber zugleich auch kluge und vielseitige Inside Spieler. Sowohl einzeln als auch in Kombination werden sie die Gegner vor echte Matchup Probleme stellen. Wenn es Moors gelingt ein Lineup zusammenzustellen in dem beide auf dem Feld sind, idealerweise zusammen mit Flagg, und noch einem anderen größeren Backcourt Spieler, dann haben wir vom Skillset her ein Smallball Lineup aber mit Spielern die alle groß sind. Das könnte wirklich interessant werden.Gut ist auch, dass die Zusammensetzung des Frontcourts extrem stabil gegen Verletzungen ist. Jede Position ist qualitativ solide doppelt besetzt (Turudic/Kennedy, Sengfelder/Pape), die beiden Vierer können auch mal auf der Fünf aushelfen und Flagg, Fobbs und Kirkwood können auch mal 'nen Vierer verteidigen. Auch im Backcourt lassen sich Pärchen bilden. Frey und Watson sind das Duo auf der 1 und 2, Fobbs kann die 2 und 3 Spielen, Flagg die 3 und 4, Griesel ergänzt eher auf der 2/3 und Kirkwood eher auf der 3/4. Nur auf der 2/3 haben wir ehrlich gesagt nicht ganz die Tiefe in der Qualität wie auf den anderen Positionen. Da aber gerade im Backcourt immer schwieriger wird genau zuzuordnen wer da welche Position spielt, ist das vermutlich eher ein Problem der Betrachtungsweise, als dass es auf dem Feld zu Herausforderungen führt. Im modernen Basketball beginnen ohnehin fast alle Angriffe mit einem P&R und allen anderen Spielern außerhalb der Zone, so dass wir Traditionalisten die noch von Flügelspielern reden, immer etwas ratlos konstatieren müssen, dass das was früher ein Flügel gemacht hat jetzt von allen Spielern außer dem Ballhandler und dem Blocksteller gemacht wird, und irgendwie alle werfen können. Was unseren Backcourt nächste Saison auszeichnen wird ist, dass er nicht nur recht groß ist, sondern auch recht Athletisch, was in einem interessanten Kontrast zu dem eher durchschnittlich athletischen Frontcourt steht.
Entsprechend dem was ich oben zum Basketball geschrieben habe den Raoul Moors bisher bevorzugt hat ist das ein sehr stimmiger und guter Kader. Gleichzeitig ist es ein Kader der zwar nicht gegen den allgemeinen Trend in der BBL gebürstet ist, aber eine sehr eigene Interpretation vornimmt. Er geht definitiv weg vom “Heliozentrischen Ansatz mit einem sehr kleinen, schnellen Guard” den die Erfolge der Iisalo Teams in der Liga populär gemacht haben, und verlagert im Vergleich sehr viel Scoring Power vom Backcourt in den Frontcourt. Gleichzeitig ist er sehr modern mit viel Shooting von allen Positionen, Stretch Bigs und viel Kreation von unterschiedlichen Positionen. So wie die “Heliozentrischen Teams” Vorteile aus dem P&R kreieren, und dann ausbauen, Wird es bei den Baskets vermutlich eher über das Kreieren von Missmatches überall auf dem Feld gehen.
Offensiv ist das jedenfalls ein Kader der sehr viel Potential hat.Wie es defensiv aussieht ist die nächste spannende Frage und wird vermutlich entscheiden wie gut die Baskets dieses Jahr sein können. Grundsätzlich hat der Kader alles was es braucht um defensiv mindestens Solide zu sein. Zwar sind insbesondere Pape und Sengfelder nicht als Defensive Stopper bekannt, aber was sie mitbringen ist viel Spielintelligenz und eine gute Einstellung, so dass sie in einem funktionierenden kollektiv auch defensiv funktionieren können. Es gibt aus meiner Sicht drei Kernanspekte einer funktionierenden Defensive von denen Du zumindest zwei wirklich gut machen musst um vorne dabei sein zu können, kannst Du alle Drei bist Du ein herausragendes Defensiv Team
- Transition Defense: Das A und O einer guten Defensiv Mannschaft. Egal wie gut dein Defensives Konzept ist, wenn Du die Transition nicht in den Griff bekommst gibst Du jedes Spiel 10 bis 20 Punkte ab, die extrem hochprozentig sind. Transition Defense war lange Zeit vor allem eine Frage der Disziplin und des Einsatzes, es galt für den Coach dafür zu sorgen, das seine Spieler auf dem Weg nach hinten die Beine in die Hand nehmen, sehr schnell in die Matchups finden, und vor allem nicht vorne stehen bleiben, mit den Ref’s hadern oder die Landschaft bewundern. Das hat dazu geführt dass in vielen Ligen das Offensivrebounding nahezu ausgestorben ist, weil stehts die oberste Maxime war, sofort den Rückwärtsgang einzulegen. Die Iisalo Teams in Crailsheim und Bonn haben hier eine echte Innovation geschafft. Durch das offensive Tagging, waren sie in den letzten Jahren sowohl herausragende Offensivrebound Teams, als auch herausragende Transition Defense Teams. Vor allem das Baskets Team der letzten Saison hat das schon fast zur Kunstform erhoben. Transition Punkte gegen Bonn 22/23 hatten absoluten Seltenheitswert. Inzwischen versuchen sich auch andere Teams an dieser Art der “Vorwärtsverteidigung”, ob Moors das auch angeht wird spannend zu beobachten.
- Defensiv Rebounding: Defensiv Rebounding ist in gewisser Weise eine Frage des Talents. Es braucht das Talent sich körperlich durchsetzen zu können, keinen Ball verloren zu geben und den Fokus auf das Rebounding hochzuhalten. Im aktuellen Kader sind ein ganze Reihe an Spielern auf allen Positionen die dieses Talent nachweislich haben, aber kein Herausragender Rebound-spezialist. Ich gehe davon aus, dass wir ein gutes Rebounding Team sein werden, aber kein überragendes.
- Verteidigung gegen das P&R. High P&R ist das zentrale Element nahezu jeder BBL Offensive und es gibt eine Vielzahl an Konzepten wie man dagegen verteidigen kann. Grundsätzlich kann man vielleicht zwischen Verteidigungsformen unterscheiden die mit Switches arbeiten, und solchen die auf Recovery setzten. Erstere haben den Vorteil, dass es keine kurzen Zeitschlitze gibt in denen die Zuordnung nicht klar ist und die verteidigung in Summe nicht so viel rotieren muss und den Nachteil dass so Missmatches entstehen, letztere vermeiden die Missmatches und erzeugen Rotationen in der Verteidigung. In der BBL war das in den letzten Jahren sehr deutlich sichtbar bei München unter Trinchieri, der sehr auf Switchen gesetzt hat, und damit auf die individuelle defensive Klasse seines Kaders und Iisalo der auf eine sehr aggressive Form des “help and recovery” gesetzt hat und damit auf die kollektive Verteidigung im Verbund. Ich gehe davon aus, das wir eher auf die Kollektive Variante setzen oder auf Mischformen, den wir haben durchaus mobile Bigs (vor allem Kennedy und Turudic) aber eben auch mit Sengfelder und Pape Spieler die nicht unbedingt herrausragende Individualverteidiger sind. Super Spannend wird es sein wie aggressiv wir mit unseren Backcourt Spielern verteidigen können. Ich sag mal so, Aufposten von Guards werden wir wenig gegen uns sehen, aber der eine oder andere sehr schnelle Guard wird uns vor Herausforderungen stellen.
Alles in Allem ist die passendste Bezeichnung die mir für den Saisonausblick einfällt: “high-floor, high cieling”. Der Kader ist qualitativ sowohl in der Breite, als auch in der Tiefe so gut besetzt, dass es damit auch wenn es nicht übermäßig “klickt” ins obere Tabellendrittel gehen sollte. Alleine die individuellen Klasse der Spieler in Verbindung mit einem erfahrenen und guten Trainer ist ein Garant für eine Platzierung unter den ersten 8. Wie weit es nach oben gehen kann hängt dagegen an vielen einzelnen Aspekten. Offensiv ist die Frage in wie weit es gelingt die Frontcourtlastige Qualität auf’s Feld zu bringen. Ich glaube wir werden ein schwer zu spielender gegner sein, nicht nur weil wir qualität haben, sondern auch weil wir ungewöhnliche Lineups an den Start bringen. Defensiv werden wir so gut sein wie es gelingt Fokus und Intensität ins Team zu transportieren. Wir haben nicht die individuelle defensive Klasse um alleine darüber ganz nach oben zu kommen. Gelingt es die Defensive im oberen Drittel der BBL zu etablieren sind wir ein Kandidat für’s Heimrecht in den PO’s und für die letzten 8 in der BCL