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Körners Corner
15. März 2017
Geschichtenerzähler, wo seid ihr?
Von Michael Körner
@MichaKoerner
Journalist ist einer der schönsten Berufe überhaupt. Es gibt so unglaublich
viel zu berichten auf dieser Welt, dass man gar nicht weiß, wo man anfangen
soll. Hauptsache man fängt mal an. Michael Körner über den verzweifelten
Kampf, den Basketball in deutsche Autoren-Köpfe zu bekommen.
In meiner Einkommenssteuererklärung steht als Berufsbezeichnung
„Journalist“. Anfangs habe ich mich dagegen gesträubt. Ich war gerade mal
22 Jahre alt, wie kann so ein Jungspund „Journalist“ sein? Meine Helden
damals waren Cordt Schnibben und Peter Scholl-Latour, brillante Schreiber,
Weltversteher. Vietnamkrieg erklären, Che Guevara kennen, Barschel-Tod
recherchieren: Das sind Journalisten. Mein erster Termin für RADIO HAGEN
war bei einem Gärtnertreffen, Thema „Rote Wurzelfäule bei Erdbeerpflanzen“.
Bin ich jetzt Journalist? Aber wie sollte ich meinen neuen Beruf denn sonst
bezeichnen?
Alles andere klang ebenso aufdringlich wie prätentiös: Redakteur,
Kommentator, Moderator, Reporter. Ich blieb bei Journalist. Bis heute.
Für brillanten Journalismus kann ich mich nach wie vor begeistern. Dabei
muss es gar nicht der überraschende Scoop sein, die wilde
Enthüllungsgeschichte. Gute Recherche, pfiffiges Thema, knackige Schreibe.
Herrlich.
In Deutschland hat die Beziehung zwischen Basketball und Journalismus eher
den Charakter einer Scheinehe. So richtig viel redet man miteinander nicht,
aber eine bessere Lösung ist gerade nicht in Sicht.
Die Ausgangslage: Es gibt wenige Menschen, die gerne in offizieller
Funktion mit Journalisten sprechen. Der Journalist ist ein Fragensteller,
eine neugierige, für den Gegenüber dazu oft noch unbekannte Person, die
dafür bezahlt wird, Dinge an die Öffentlichkeit zu bringen. Das macht die
Sache nicht einfach, aber man gewöhnt sich irgendwann daran.
Im Bereich Basketball haben wir es mit einem besonderen Phänomen zu tun:
Hier spricht der Journalist nicht gerne. Man gehe auf eine x-beliebige
Basketball-Pressekonferenz. Der gastgebende Mediendirektor übergibt das
Wort an die Coaches, Geschäftsführer oder Spieler. Im Anschluss besteht die
Möglichkeit, Fragen zu stellen.
Das ist der Moment, den ich nur noch schwer ertrage. Denn keiner fragt
etwas. Das Schweigen im Walde. Alibihaftes Notieren der zuletzt getätigten
Aussagen.
Journalist, wo bist du?
Eingeschüchtert durch die natürliche Autorität eines Pesic, Djordjevic,
Trinchieri? Sprachlich limitiert, da Deutsch erste, Heimatdialekt zweite
und Morgenbefehl der Ehefrau dritte Fremdsprache? Aber bei der
Fußball-Pressekonferenz vor dem Länderspiel aus der drittletzten Reihe
Joachim Löw fragen: „Jogi, kannst Du uns sagen, ob Boateng wieder fit ist?“
Und dann Berufsbezeichnung „Journalist“. Da kriege ich Ausschlag.
Bitte nicht falsch verstehen: Ich möchte meine Kritik nicht als allgemeine
Nestbeschmutzung verstanden wissen. Aber nachdem ich über ein
Vierteljahrhundert dem Finanzamt meine Berufsbezeichnung beinahe demütig
mitgeteilt habe, verlange ich doch von den Kollegen eine gewisse Hingabe.
Das kann natürlich manchmal gehörig schief gehen. So wie bei nachfolgender
Pressekonferenz in Bamberg als Head Coach Trinchieri (er hatte das Coaching
während des Spiels seinem Assistenten überlassen) von einem Jung-Redakteur
nicht die ideale Frage gestellt bekommt. Es folgt ein mittelschwerer
Vulkanausbruch, dem man tapfer widerstehen muss.
Körners Corner
Pressekonferenz Bamberg
Auch ich habe beim Einstiegsgespräch mit Bayern Coach Sascha Djordjevic zu
Saisonbeginn eine völlig unangebrachte Frage gestellt und mir eine
entsprechende Reaktion eingefangen. Passiert. Ich habe ihm später unter
vier Augen meinen Gedankengang erklärt. Weiter geht´s.
Beinahe eine Wohltat sind Pressetermine bei internationalen Events wie
Europameisterschaften. Journalisten aus Spanien, Litauen und anderen
Basketball-Hochburgen pflegen einen viel selbstbewussteren und auch
kompetenteren Umgang mit Trainer, Spielern und Funktionären.
Dabei geht es mir gar nicht um überkritische Ansätze oder deutsches
Schwarzmalertum. Selbstverständlich müssen Missstände aufgedeckt und
Ungerechtigkeiten angesprochen werden. Aber sollte nicht zuallererst eine
Geschichte erzählt werden?
BIG-Herausgeber Kai Zimmermann hat es mehrfach betont und ich stimme ihm
100% zu: Wir erzählen im Basketball zu wenig Geschichten.
Im Fußball werden Halbsätze von Thomas Müller über Jahre zitiert,
Trainerphilosophien hinterfragt und tonnenweise Banalkram wiedergekäut.
Mehr Mut, forschere Herangehensweise und weniger Berührungsängste sind die
Dinge, die ich mir für die Berichterstattung rund um den Basketball
wünsche. Dabei kann und muss nicht jedes Spiel die Bedeutung eines neuen
Scarlett-Johansson-Films haben, vielmehr reicht der unbefangene aber auch
kenntnisreiche Blick auf das Geschehen an sich.
Vielleicht bin ich auch einfach nur angenervt vom schlechten Image des
Journalisten in der Bevölkerung. Wenn ich das Wort „Lügenpresse“ höre,
dreht sich mein Zwölffingerdarm auf halb acht. Das postfaktische Zeitalter
macht mir zu schaffen. Wir haben so großartigen Journalismus in diesem
Land, so spezielle und einzigartige Berichte und Reportagen, aber das
Vertrauen selbst in die renommiertesten Publikationen ist so gering wie nie
zuvor.
Journalisten gelten oft als Wahrheitsverdreher, als Maulwürfe, die den
eigenen Vorteil suchen und die Hälfte der Zeit auf pressekonditionen.de
verbringen.
Wir brauchen für den einzig wahren Hallensport: Den Berichterstatter, den
Geschichtenerzähler, den Entdecker genauso wie den Vermittler.
Beruf kommt von Berufung.